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Mittwoch, 30. Juni 2004
52 Tage Deutschland
Über eine Woche ist es schon her. Da waren es 52 Tage, die wir wieder hier in Deutschland sind. 52 Tage, so lange hatte unsere Reise durch die Fremde gedauert: 52 Tage Peru - Dschungel, Hochland, Lima, Millionen-Moloch. Stille, Autogehupe, Hektik, glucksender Amazonas. Lachen. Selten. Armut.

Ein paar Erinnerungen, Strandkiesel über die man manchmal stolpert, liegen rum und verschwinden langsam im Sand. Und ein Zettel an der Pinnwand, denn der Kleber kaum hält und den ich immer wieder festmache wenn er runterfällt: "Was bleibt?"

Was bleibt von den Blitzlichtern der Armut, von der trotzigen Hoffnung der Peruaner, an der es uns so zu fehlen scheint. Meine Birne ist schon wieder gerade gerückt. Der klare Blick auf unser Leben, aus der Ferne geblickt, verschwimmt. Auf die täglichen Idiotien, unser Leben im Rausch an hirnlosem Quatsch, das gierige Warten auf das nächste Programm-Update, 1beta34, Sie haben Post, Folge 1362, gleich den Fernseher einschalten wenn er nicht schon läuft, ha! und abends, noch zwei Minuten, ein Bier, ein Wein, ein Ouzo, jetzt hamma frei, um zu glauben, dass das Leben so das Leben wert ist. Manchmal ist es das.

52 Tage Deutschland. Habe gearbeitet. Freunde getroffen. Nichts weiter erlebt. Eigentlich lief es gar nicht schlecht. Ein anderes Leben. Ich hänge den Zettel wieder an die weiße Pinnwand. Reibe mit dem Fingernagel über die brüchige Klebestelle.
In der Bar unten spielen sie ein Lied, das wir in Peru hörten. Kitschiges Popgeschrammel. Bachata aus Kuba, "Obsession" von Aventura. "No es amor, lo que tu sientes, se llama Obsession, una Illusion". Muss grinsen. Was für ein Kitsch. Gefällt mir.

Ein Kiesel über den ich gestolpert bin.

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Mittwoch, 28. April 2004
Zuhaus.
Daheim. Schon ein paar Tage. Die Freunde. Familie. Salatbüffets. Guter deutscher Bohnenkaffee. Die Espressobar. Reissdorf. Samstags-Sport-und-Musik-endlich-Fussball-Idylle.

Und doch wirkt alles unwirklich. Fremd. Nach diesem Blick auf harte Wirklichkeiten am anderen Ende der Welt. Unwirklich. Merkwürdig ruhig. Belanglosigkeiten kehren zurück. Der Alltag. Keine Armut. Kein Hunger. Kein Staub. Kein Dreck.

Seifenopern. Promi-News. Reformgequatsche. Konsum. Krisengejammer. Stunden am Schreibtisch. Glasaugen am Computer.

Es ist seltsam. Ein Satz aus Peru hängt hinterher. Von einem Argentinier: "Der westliche US-Kapitalismus und sein Gedanke vom ständigen Konsum, wird bald verglühen wie schon viele Systeme vor ihm."

Seltsam.

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Mittwoch, 21. April 2004
Liebes Lima
Endlich wieder daheim.

Lima.

Stossender Autoverkehr. Warnendes Hupen. Diesiger Nebel. Klebrige Luftschwaden. Schreiende Strassenhaendler an der Kreuzung. Raubkopien, Bananen, Zuckerrohr, Papp-Skelette. "Jockey, Jockey, Jockey", zerrissene Rufe der Minibus-Fahrer zischen vorbei.

Hast, Hektik, Hetze.

Wenige Wortwechsel. Sandige Staubberge am milchigen Horizont. Staub. Die Pizzeria an der Ecke. Die frischen Fruechte am Morgen. Heisser Kaffee. Jeden Tag.

Liebes Lima, ein wenig haben wir dich liebgewonnen waehrend unserer Abwesenheit in der Provinz. Pucallpa. Huanuco. Puno. Noch ein Tag bleibt. Lima. Die 10-Millionen-Stadt.

[Unhandled Macro: thumbnail]

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Dienstag, 20. April 2004
Rom sehen - und nach Hause fahren!
Es geht ja nichts ueber einen gepflegten Sonntagsausflug. Rom sollte es am letzten Sonntag sein. Genauer: Julí, das "kleine Rom" am Titicacasee im Hochland Perus wo die "Aymara" leben. So packten wir Sonnenoel und Reisefuehrer in unser Buendel. Einmal Rom sehen und...

Nun gut. Dann kam alles anders.

Die Aymara sind starrkoepfige Menschen. Dass ihr Buergermeister ihre Steuerzahlungen in die eigene Geldboerse umleitet, finden die Aymara-Menschen wenig unterhaltsam. Deswegen streiken sie, gehen auf die Strasse und blockieren die Zufahrtswege in die Provinzhauptstadt Puno. Bis der Buergermeister geht. Eine "huelga" nennt man das.

Als unser Sonntags-Ausflugs-Bus auf halbem Weg den haesslichen Ort "Ilave" erreichte, versperrten fuenf schuechtern aufgehaeufte Steine die Strasse. "Baja, Baja" rief der Fahrer gelassen. Aussteigen. Endstation. So stiefelten wir zu Fuss Richtung Rom. Drei Haeuserbloecke weiter, hinter der Blockade, sollten wieder Busse zur Weiterfahrt stehen.

Wir gingen vorbei an mueden Streikposten, die uns ab und an ein freundliches "Hola Gringo!" zuriefen. Die wenigen Steine steigerten sich zu Haufen und schliesslich ausgewachsenen Strassenblockaden, ueberall standen kleine Gruppen und diskutierten ueber den Verrat ihres Buergermeisters.
Sonntags-Ausfluegler am Titicacasee

Die "drei Haueserblocke" zogen sich weit die Landstrasse entlang, ueber die ein Strom von hunderten gezwungenen Fussgaengern ging. Beladen mit schwerem Gepaeck ertrugen sie lethargisch ihr Schicksal. Wir passierten den Hauptplatz auf dem eine zerstreute Demonstration stattfand. Aschehaufen verbrannten Muells zeugten von den Lagern der letzten 10 Naechte der Streikenden. Nach einer halben Stunde ueberstiegen wir die letzte Strassensperre. Schon von weitem hoerte man die Rufe der wartenden Busfahrer: "Julí, Julí!" Rom wartete ja noch.

Wir blieben nur zum Mittagessen in Julí. Der Heimweg zu Fuss lag noch vor uns. Wir assen "Lomo asado". Das Fleisch war so zaeh, dass wir die Haelfte einem Hund gaben. Wir besichtigten eine Kathedrale und zwei Kirchen. Mehr gab es nicht zu sehen. Nach einer Stunde begannen wir die Rueckfahrt. In Ilave hatte inzwischen eine neue Schicht den Streikposten uebernommen.

Wir erreichten Puno in der Dunkelheit. Es regnete.

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Samstag, 17. April 2004
Widmung mit Katze
Fuer unsere treuen Weblog-Leser:




(Ich bin schon durch die ganze Welt gekommen!) (Was keine grosse Sache ist...) (Ich kann ihren Rand von hier aus sehen!)

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Freitag, 16. April 2004
Hey du Haenfling!
Waehrend wir in der Heimat die hoefliche und bisweilen langweilige Anrede pflegen, die hoechstens in einem ekstatischen "Fraeulein!" gipfelt, geben sich viele Peruaner mehr Muehe.

In der Hauptstadt Lima herrscht ein rauher Umgangston. Fuer Streicheleinheiten fehlt die Zeit. "Bring mir Nuesse!" - "¡Traeme mani!" ruft ein Buspassagier zum Beifahrer an der roten Ampel. Der sprintet zum fliegenden Haendler und 15 Sekunden spaeter haelt sein Kunde einen Beutel gebrannter Nuesse in der Hand. Die Ampel schaltet auf gruen.

"¡He Flaquito!" - "He du Haenfling!" So lautet ein beliebter Ruf auch ausserhalb Limas, auf der Strasse und vor allem in den Restaurancitos. "Bring mir¨n Bier!". Manchmal reicht auch ein Pfiff. Die Floskel "Bitte" ist nicht sehr populaer.

Etwas gemuetlicher sind die Anden- und Dschungelbewohner. Im sympathischen Sing-Sang ziehen sie die Silben in die Laenge. "Ay Mamíííí, coooomprame!" - Ach Maaaami kaufs mir doch aaaab!" rufen die Muetzen- und Tuchhaendlerinnen weiblichen Touristen gerne hinterher. Auch untereinander nennt man sich zaertlich Vaeterchen oder Muetterchen - "Papito", "Mamita". Fuer eine Silbe mehr reicht¨s hier immer.

Hasta luegito!

(Bis spaeterchen).

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Donnerstag, 15. April 2004
Mutterschutz auf Quetchua-Art
Dunkel muss es sein, sicher und behuetet. Die Grossmutter verhaengt die Fenster. Weder der kalttrockene Wind noch die brennende Sonne finden den Weg ins Haus. Jemand macht Feuer aus Holz und getrocknetem Mist. Die Geborgenheit einer Hoehle.

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Quetchua-Mami mit ihrem "Wawa" (Baby)

Jetzt darf die Schwangere nicht mehr allein sein. Die Wehen haben eingesetzt. Die ganze Familie versammelt sich. Der Ehemann, die Schwestern, die Kinder, die werdende Grossmutter, die Hebamme, alle im Kreis um die Frau, die auf Kissen und Decken am Boden gebettet liegt. Streicheln. Beten. Ein Opfer fuer den Apu, den Berggott der Gemeinde. Bei der Geburt helfen der Ehemann und die Hebamme. Ist das Kind da, kommen alle in den Raum.

Die Tage nach der Geburt ist die Mutter niemals alleine. Sie darf kein Salz zu sich nehmen, sonst wuerde sie an ihrer inneren Wunde verbrennen. Sie verlaesst das Haus unter keinen Umstaenden. Zu gefaehrlich waere das jetzt, denn ihr Koerper ist geschwaecht und den Naturkraeften schutzlos ausgeliefert - die nagen staendig am menschlichen Gleichgewicht von Kalt und Warm. Auch das Wasser, deshalb darf sie sich nicht waschen.

Nach acht Tagen das Reinigungsritual: Der Koerper der Mutter wird mit mit Kraeutern und Wasser eingerieben, dann dick eingewickelt. So bleibt sie eine Nacht. "Danach fuehlst du dich leicht und stark wie ein Vogel", sagt Luz. So stark, dass sie wieder hinaus darf in die Welt.

So haben die Quetchua-Frauen frueher ihre Kinder bekommen. Heute gehen sie, weil es Gesetz ist, immer haeufiger in Gesundheitszentren und Krankenhaeuser. Sie wissen, dass die westliche Medizin sicherer ist, dass dank der Aerzte weniger Kinder und Muetter sterben. Aber das Ambiente - die hellen Raeume, die Kaelte, die Einsamkeit, die Fremden, das Sich-Waschen-Muessen - schreckt immer noch viele ab. Und auch, dass sie sich in der Vergangenheit oft als schmutzige Landeier beschimpfen lassen mussten.

Seit zehn Jahren kaempfen sie darum, dass ihre Kultur und ihr Wissen respektiert wird. Doch Gesundheitspolitik wird immer noch in Lima gemacht. Und bis Lima ist es ueber die Anden ein langer Weg .....

Ein Leben im Sack: Quetchua-Baby im traditionellen Ruecken-Tuch des peruanischen Anden-Hochlands
Ein Leben im Sack: Quetchua-Kind im traditionellen Ruecken-Tuch

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Heimweh
Wir muessen es zugeben:

Nach etwa 40 Tagen Rundreise, nach Dschungel, Pazifikkueste und Hochland, nach Grossstadthektik und Hochlandromantik, sehnen wir uns langsam nach der Heimat zurueck.
Mal wieder ein gutes Koelsch trinken und die Bundesliga nicht nur im Internet verfolgen. Dem Schluerfgeraeusch der Espresso-Maschine beim Italiener im Nachbarhaus lauschen statt knatternder Moto-taxis. Freunde und Familie treffen. Und einmal nachts wieder dieses Bild sehen.

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