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Donnerstag, 1. April 2004
Dick und stolz darauf
"Mira que gordita es" - "schau was fuer ein Dickerchen die ist". Diesen Satz hoere ich hier mindestens dreimal am Tag. Die Leute sagen ihn mir ins Gesicht. Breit grinsend. Ohne die geringste Scham. Sie begutachten mich von hinten. Von vorne. Von der Seite. Sie kneifen mir in die Huefte. Sie streicheln mir ueber den Bauch.

Dann quetschen sie mich aus. In welchem Monat bist du? Ist es dein erstes Kind? Weisst du schon was es wird? Ohne die Antwort abzuwarten, beschliessen sie: Wird ein Maedchen. Auf jeden Fall. Jungs wachsen nach vorne, Maedchen in die Breite.

Es wird ein Junge, sage ich. Ach so, sagen sie. Bien gordita eres, huebsch dick biste. Das wird ein grosser Junge. Ja, sage ich, hilflos. Dabei habe ich wirklich nicht aussergewoehnlich viel zugelegt. Die eine oder andere Speckrolle pflege ich seit Jahren. Aber ich bin halt im siebten Monat!

Ich hab ne Weile gebraucht bis ich begriffen habe, dass "bien gordita" zu sein ein echt angesagter Zustand ist in Peru. Weil man nicht unterernaehrt ist wie viele hier. Wer im Wohlstand lebt, der traegt oft auch stolz das entsprechende Baeuchlein vor sich her. Wenn Hebammen ein gesundes Kinder beschreiben, dann mit den Worten "bien rojito y gordito", "schoen rot und rund".

So reisen wir durch Peru: Dick und stolz darauf. Und immer noch auf der Suche nach einem Namen...

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Mittwoch, 31. März 2004
Pisco Sour
Haben heute den Nachmittag zum Freizeittag erklaert: Also kurz und knapp: Ab in die Bar, Pisco Sour trinken! Salud!



Zutaten für vier Gläser:
Zucker und Zitronensaft für die Gläser
3 TL Zucker
Saft von 3 Zitronen (etwa 50 ml)
100 ml Pisco (Peruanischer! nicht chilenischer Weinbrand)
4 Eiswürfel

Zubereitung:
In einem Shaker Zucker und Zitronensaft verrühren. Pisco und Eiswürfel zufügen, den Shaker zudecken und kräftig durchschütteln. Salud!

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Montag, 29. März 2004
Schweineparade im Hobbitland
Das war mal nen netter Empfang. Waehrend unserer doppelstoeckiger Luxus-Bus durch die Bergdoerfer von Lima nach Huanuco bretterte, defilierten am Strassenrand kugelige Ferkel. Neben dem Schweinevieh, das sich als Spezialitaet auf den Tellern wiederfindet, spazieren hier auch Esel, Ziegen, Schafe und Lamas geordnet hintereinander die Piste entlang. Manch daemlicher Koeter hat sich auch zum Nickerchen langgelegt. Was nicht immer gut geht.

Die Bustour von der Hauptstadt ueberwindet schlappe 4813 Meter Hoehenunterschied und begleitet die Gleise der hoechstgelegenen Bahnstrecke der Welt. Ein Hoehenrausch hat sich bei uns nur leicht eingestellt. Etwas benommen taumeln wir zur Mittagspause in ein Restaurant, lassen uns abwesend laechelnd Meerschweinchen und gefuellte Kartoffeln bringen. Die blass-waessrige Bruehe vor der Nase bringt uns leicht in Schwung: Mate-de-Coca heisst der Spezialtee.

Die Menschen werden knubbliger, tragen ihre Kinder auf den Ruecken geschnallt und bunte Strickmuetzen auf den Koeppen, waehrend wir im T-Shirt umherstapfen.

Hobbitland [Unhandled Macro: thumbnail]
Die Wiesen und Bergtaeler auf dem Weg hinab nach Huanuco (2000 Meter) sind prall gruen und muten schwer irisch an. An jeder Ecke werden frische Forellen feilgeboten, die aus den Bergfluessen in die Pfanne springen. Ein rechtes Schlaraffenland und in seiner ganzen Knubbligkeit erinnert es an das Paradies der Hobbits.

Wir haben uns gleich angepasst und nehmen nun zwei warme Mahlzeiten ein.

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Samstag, 27. März 2004
Am Fluss aus Milchkaffee
Der Rio Ucayali. Ein Fluss aus Milchkaffee, hunderte von Metern breit. Gerade hat einer den Zucker reingeruehrt und den Loeffel rausgenommen. Tausend kleine Wirbel zerreissen die Oberflaeche.

[Unhandled Macro: thumbnail]

Ein Kilometer Matsch trennt den Anlegesteg vom Dorf. Die dunkelbraune, reiche Erde will unsere Turnschuhe verschlucken. Die der Einwohner von Santa Isabell hat sie schon gekriegt: Hier laeuft jeder barfuss herum. Und jeder begruesst uns mit einem warmen Lachen.

Jetzt sind sie auf dem Weg zu ihrer Chacra, ihrem Stueckchen Land. Dort graben sie Yucca-Wurzeln aus und ernten Reis. Heute nachmittag werden sie heimkehren, den Ruecken gekruemmt vom Gewicht der Kochbananenstauden. Einige Maenner und Burschen werden Fische aus dem Fluss gezogen haben. Dann kochen die Frauen, und in den feuchten Gaesschen zwischen den Palmhuetten duftet es nach brennendem Holz.

Doch bis dahin gehoert das Dorf allein den vielen Kindern. Kichern, Lachen, Schekern, Schreien an jeder Ecke. Keiner passt auf die Kurzen auf - was soll auch passieren, mitten im Urwald?

Doch heute passiert was. Blauaeugige, blassbeinige Gringos stiefeln durchs Dorf. Stehlen den Eidechsen und Ferkeln die Show. Rundgang mit der Krankenschwester und dem zweiten Haueptling. Oli, hochrotes Gesicht, lernt Shipibo zu sprechen. Doro, tomatig glaenzend, versucht verzweifelt jugendliche Schwangere zu interviewen.

Es geht nicht. Mit letzer Kraft verteilen sie die mitgebrachten Bonbons und fliegen zurueck ueber die braune Riesensuppe. Es ist einfach zu heiss am Milchkaffeefluss.

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Donnerstag, 25. März 2004
John Wayne am Nebentisch
Schubidu. Der peruanische Kloss, verlaesst singend die Kaffebuud, in der wir auf Mango-Mix und Broetchen mit Ei warten. Pucallpa, acht Uhr morgens, das heisst: aufstehen, waschen, raus auf die Formel 1-Motoroller-Tribuene, roehrendes Morgen-Brumm-Brumm; dann gleich frische rote Flugerde zerknarfeln, schwarzes Suppenextrakt mit heissem Wasser zu Kaffee verlaengern und die zugepappten Augen aufreissen: Guten Morgen Amazonien!

Die Kaffebuden von Dschungelland haben mehr zu bieten als Luftpumpen-Hefeknubbel, leckeres Backwerk wartet: Ananas-Kuechelchen, Maisgebaeck, Apfeltaschen, Kekse, Kokoswaren aller Art. Roter-Erdmatsch vom Vortag klebt noch an den Fuessen; scheuche den Schuputzer trotzdem fort; sinnlos die Treter zu polieren;

Doro gurgelt den ersten Schluck Kaffee hinab; am Nebentisch mit breiter Brust, dass das dunkel-violette Satin-Hemd sich spannt, frisch gefoehnt, John Wayne, peruanische Version: "Bring mir einen Hamburger!" Die Machos der Stadt kennen nur den Imperativ. "Und Papayasaft" Gut. John haette einen Krug Whiskey bestellt. Statt des Colts blitzt ein Handy auf, Patronengurt fehlt; der Typ hat "plata", ordentlich Silber auf der Tasche; koennte ein Holzhaendler sein; Mahagoni, illegal, aber wen kuemmert das, wenn der Buergermeister selbst "Madeirero" ist.

[Unhandled Macro: thumbnail]
Das Holz wird im Urwald geschlagen, den brauen Ucayali-Fluss runtergeschippert und von mehrachsigen Blechraupen in die Hauptstadt Lima geschoben, nachdem die duerren Bewohner es am Stadtrand zurechtgesaebelt haben.

Lautes blechernes Klopfen bringt Bewegung in die Haeuser, die Muellkutscher kuendigen ihr Kommen an. Und wer seinen Abfall loswerden will springt auf die Strasse gibt zwei, drei Plastiktueten ab. Wir zahlen, John Wayne ist schon fort, eine Verabredung im Centro de Salud wartet auf uns. Draussen ist das tiefe Blubbern der Motoren lauter geworden.

Im Internetcafe spielen sie "Ich will dich nie wieder kuessen."

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Dienstag, 23. März 2004
Blind im Urwald
Gleich vorweg: Wir haben mindestens 30 Delphine gesehen, kleine graue und grosse grau-rosige! Froehlich huepfend, nach Luft schnappend, allein und im Duett. Die Suesswasserlagune ist voll von ihnen, doch sie sind schuechtern und lassen sich ungern fotografieren...

Was das Uferleben betrifft, sind wir blinde Huehner. Gilbert, unser Fuehrer: "Da oben in der Baumkrone, da ist was Gruenes, das sieht anders aus als ein Ast..." Wir: "Haeh?" Er: "Na da, das mit den Zacken am Ruecken". Wir: "Da is nix.". Er: "Das was da so gruen glaenzt". Fuenf Minuten brauchen wir, bis wir drei Leguane erkennen, die ihre Beine faul in der Morgensonne baumeln lassen ...

Die Voegel (schwarzgelb, schwarzrot, blaugruen, blauweiss) machen wenigstens mit aufgeregtem Geschnatter auf sich aufmerksam. Und auf ihre Nester, die wie alte Jutesaecke von den Baeumen haengen. Aber in einer graubraunen Baumkrone eine graubraunes Faultier zu erkennen? Kaum zu schaffen fuer uns Stadtkinder.

Zuhause im Dorf Nueva Luz bei Gilbert. Eine 10x5-Meter-Prachthuette an der Lagune: das Dach aus Palmenblaettern, der Wohnraum in Zellen unterteilt. Jedes der drei Kinder hat seine eigene Zelle mit eigener Haengematte. "Den Luxus goennen wir uns", sagt Gilbert.

Hinterm Haus gleich neben der Latrine: sieben rosarote Ferkel, spendiert vom Rotary Club Jura/Schweiz. Eine Ente manoevriert ihre 13 Kueken an den Huehnern vorbei zum Teich. Gilberts Frau serviert frittierten Fisch und Yucca.

Das halbe Dorf sammelt sich am Steg, denn sonntags zeigt man sich drueben in der Stadt. Da wollen alle mit in Gilberts Boot. In den besten Klamotten. Die Maedels: dick geschminkt, die Haare glaenzend gewaschen und wild kichernd, als ihnen der blauauegige Oli eine breites Grinsen schenkt...

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Sonntag, 21. März 2004
Sintflut ohne Arche Noah
Etwa vier Minuten braucht es, dann sieht man das andere Ufer der Lagune nicht mehr. Dann hat sich der Regen wie eine Riesenqualle vor das Restaurant geschoben. Wo die Tentakel den Boden beruehren, wird die Erde zu kupfernem Matsch. "Das bleibt den ganzen Tag so", meint die Koechin.

Wir sitzen vor einem Teller gebratetem Fischs und verhandeln mit Gilbert darueber, was uns die Bootsfahrt morgen kosten wird. Eine Fuenf-Zentimeter-Kakerlake fluechtet die Wand herab, versteckt sich hinterm Tischbein. Gilbert ist 52, deswegen nennen ihn die anderen Schiffer "el Viejo", den Alten. Er ist der Sohn eines spanischen Schamanen und einer Indianerin. Der einzige Sohn zwischen zwoelf Toechtern.

Die meisten hier halten ihn fuer verrueckt, sagt Gilbert. Weil er ihnen an den Kopf wirft: In zehn, zwanzig Jahren wird es den Urwald nicht mehr geben. Die Menschen denken nur noch an sich und nicht mehr an die Gemeinschaft und nur an heute und nicht mehr an morgen.

Sie holzen Waelder ab, ohne sie aufzuforsten. Sie fischen mit Gift. Sie jagen Tiere, die fast ausgestorben sind. Sie graben nach Gold und verseuchen den Boden und das Wasser mit Quecksilber. Sie bauen Pipelines und Strassen und zerstoeren alles und jeden, der ihnen in den Quere kommt. Und die Maechtigen kneifen die Augen zu. Es wird mehr kosten als ein Laecheln.

Morgen will er uns zeigen was noch uebrig ist vom Urwald. "Nehmt eure Capes mit", sagt Gilbert. Sintfluten wie heute wird es immer geben. Nur keine Arche Noah.

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